Hochwasser in Gelting und Umgebung im September 2011
Harmlos und ruhig fließt die Geltinger Au von Priesholz aus durch den
Ort Gelting hindurch am Geltinger Noor in die Ostsee hinein, solange
Wind und Wetter diesen ruhigen Verlauf zulassen. Eine Strecke von rund
8,5 Kilometern legt das Wasser von seiner Quelle in rund 20 m Höhe am
Waldrand von Priesholz bis zum Einlauf bei Grahlenstein zurück. An
Rabenholz, Bücherott und Freienwillen vorbei, wird ihr Lauf kurz vor
Gelting durch mehrere kleine Kurven in Richtung Nordwest verändert, bis
sie ab der Bundesstraße 199 weiter in Richtung Norden verläuft. Von
diesem Punkt an ist sie nicht mehr naturbelassen, sondern seit dem Jahr
1971 verrohrt. Hier verläuft sie unter der Nordstraße hindurch parallel
zur Straße Norderholm an der Geltinger Kirche vorbei
bis zur Schmiedestraße, wo sie wieder offen zu Tage tritt und durch die
Promoi hindurch zur Ostsee weiterfließt. Dieses Nadelöhr von der B 199
über den Norderholm bis zur Schmiedestraße scheint ein großes Problem
bei Hochwassergefahr darzustellen. Es wird vermutet, dass die hier
verlegten Rohre zu eng sind, so dass sich das Wasser bei Starkregen oder
Schneeschmelze an dem Siel zusammen mit dem von Priesholz
herandrängenden Quellwasser vor der Nordstraße staut. In solchen
Situationen sind dann hauptsächlich die Grundstücke und Häuser im
Bereich Süderholm/Wilhelmstraße stark hochwassergefährdet. Geht man in
die Geltinger Vergangenheit zurück, so erkennt man, dass die Ostsee noch
im 18. Jahrhundert tief ins Land hinein bis zur Geltinger Kirche
reichte. Warenhändler aus der Umgebung und aus Dänemark konnten mit
Booten über das ehemalige Kleine Noor (der Promoi) bis an den nördlich
der Kirchhofsmauer gelegenen Marktplatz heranfahren und dort ihre Waren
verkaufen. In diesem, bis zu 500 m breiten Meeresarm stauten sich das
Ostseewasser und vermutlich auch das Quellwasser der Au. Erst in
jüngerer Zeit erfolgte im Zusammenhang mit Eingriffen in die Natur eine
schnellere Verlandung des südlichen, Richtung Gelting gelegenen Teiles,
dieses Noorarmes.* *Gutachten Dr. Kannenberg, Kiel, 1955 Es sind keine
offiziellen Aufzeichnungen darüber bekannt, dass vor 1979 Starkregen und
Schneeschmelze Überschwemmungen in Gelting verursacht haben, aber es ist
zu vermuten, dass sich solche Wassermassen früher immer mal wieder im
sehr niedrig gelegenen Teil Geltings und im früheren Kleinen Noor
angesammelt haben. Durch Sturmfluten und Ostseehochwasser wurde der Ort
andererseits des öfteren überflutet, oft mit katastrophalen Folgen. Die
schlimmsten Überschwemmungen gab es während der großen Sturmflut im Jahr
1872, bei der der nördliche Teil Geltings mannshoch unter Wasser stand.
Nach Aufzeichnungen des Pastors und Heimatforschers Jensen, Gelting, gab
es wahrscheinlich im 17. Jahrhundert eine Hochwasser-Katastrophe, bei
der der 1581 gebaute Damm zwischen Quisnis und Beveroe vernichtet wurde.
Um 1750 wurde dann das Kleine Noor bei Grahlenstein abgedämmt. Dieser
Damm scheint dann durchgehend bis 1872 bestanden zu haben, als das
Ostsee-Hochwasser am 13. November eine bis dahin nie gemessene Höhe
erreichte. Er wurde überflutet und schließlich durchbrochen, so dass das
Dorf von den Überschwemmungen heimgesucht wurde.* *Gutachten Dr.
Kannenberg, Kiel, 1955 Weitere Überschwemmungen sind bekannt aus den
1930er-Jahren aber auch immer mal wieder aus den 1950er und
1960er-Jahren. In allen Fällen waren Teile des nördlichen Geltings
betroffen. Durch die erwähnte Verrohrung erhoffte man sich eine
Entspannung, doch wurde dadurch , wie sich später herausstellte , das
Hochwasserproblem nur von einem Ortsteil zum anderen verschoben. So
waren bei den beiden Hochwassern im März und Dezember 1979 die Bereiche
südlich der Bundesstraße 199 deutlich stärker überschwemmt als die
nördlich gelegenen Straßen. Auch 1988 litten die gleichen Regionen des
Ortes Gelting zweimal unter Hochwasser und nach allen Katastrophen hörte
man die gleichen Aussagen der Verantwortlichen: " Es muss Abhilfe
geschaffen werden, so etwas darf sich nicht wiederholen, wir müssen
jetzt handeln, die Angst vor weiteren Hochwasser-Katastrophen muss den
Bürgern genommen werden." 1979 gab es bereits Pläne für eine
Entlastungsleitung, die letztlich an den zu hohen Kosten scheiterte.
Auch 1988 war zunächst ein offener Kanal östlich an den Häusern des
Norderholms vorbei geplant, der in die Stenderuper Au, die am Geltinger
Schloß vorbei führt, hineingeleitet werden sollte. Beide Vorhaben
verliefen, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen, im Sande. Große
Teile Geltings liegen nur ganz knapp oberhalb des Meeresspiegels und
sind bei Sturmfluten von jeher stark gefährdet gewesen. Die Wiesen der
"Promoi" liegen nur 10 bis 20 cm und der Bereich des Bürgerparks nur 60
cm über dem Meeresspiegel, während rund um den Ort herum die Anhöhen von
6 bis über 20 Meter ansteigen. Aus diesen Angaben kann man gut erkennen,
dass sich große Wassermassen aus Starkregen und Schneeschmelze
notgedrungen in dieser Geltinger Senke ansammeln müssen. Durch
Begradigung der Au, Bau einer neuen Schleuse und eines neuen Pumpwerks,
wurde der Wasserlauf seit 1957 reguliert und vor Ostseehochwasser ist
Gelting durch neue, höhere Deiche gut geschützt. So gut die Bevölkerung
vor Sturmfluten nun geschützt ist, so schlecht ist sie es bei
Starkregenfällen und Schneeschmelze. Wenn sich dann noch eine Mischung
aus beidem ergibt, wird es besonders kritisch. Ein starker Sturm aus
west/nordwestlichen Richtungen sorgt dafür, dass sich in Grahlenstein am
Geltinger Noor die Schleusen automatisch schließen um ein Eindringen des
Ostseewassers in das Geltinger Hinterland zu verhindern. Wenn nun noch
gleichzeitig die Wassermassen der Au, zusammen mit Regen- oder
Schmelzwasser in Richtung See hinausdrängen wollen, kommt es zu den
bekannten Staus, Ostseewasser kann zwar nicht hinein aber das Wasser der
Au auch nicht hinaus. Nun helfen nur noch leistungsstarke Pumpen, die
das Wasser der Au über den Deich in die See pumpen können. Dass sich
solch ein ähnliches Szenario bald abspielen sollte, konnte am Nachmittag
des 4. September 2011 noch keiner ahnen. Das Wetter entwickelte sich wie
ein ganz normaler Spätsommertag. Die Wetterdienste hatten Regenmengen
von 15 bis 30 Liter pro Quadratmeter, die das Tiefdruckgebiet mit dem
Namen "Dieter" mit sich bringen sollte, für die kommende Nacht
vorausgesagt, mehr sollte es nicht werden.* *"Wetterwelt.de" in Kiel
Doch was dann ab etwa 18 Uhr geschah, hatte es wahrscheinlich in der
Geschichte des Ortes Gelting noch nie geben. Zunächst war nur ein
intensives Wetterleuchten am Horizont zu beobachten, das aus
dunkelblauen, fast schwarzen Wolken herausschoss. Rasend schnell
erreichten diese furchteinflößenden Ungetüme Gelting und seine
unmittelbare Umgebung. Regen, Blitz und Donner sorgten binnen weniger
Minuten für ein Unwetter, das die Einwohner Geltings und seiner Umgebung
so noch nicht erlebt hatten. Mit einer unbeschreiblichen Urgewalt
ergossen sich die Regenmassen über die Straßen und Grundstücke im
gesamten Kirchspiel. Fast jedes Grundstück, jede Wiese, jede Koppel
stand auf einmal unter Wasser. Da die Kanalisation die Wassermassen
nicht mehr aufnehmen konnte, drückte das Wasser in die Keller, egal ob
die Häuser in höher oder tiefer gelegenen Teilen des Ortes standen. Das
Tiefdruckgebiet schien sich über Gelting und die näheren Nachbarorte
festgesetzt zu haben, es schien als wolle es hier im Ostangelner Raum
bleiben und sich so richtig austoben. Gerade hier prasselten innerhalb
von nicht einmal drei Stunden 120 Liter pro Quadratmeter herunter, das
sind Regenmengen, die von den Meteorologen als Starkregen der höchsten
Kategorie bezeichnet werden. Von Starkregen wird im deutschen Sprachraum
ab einer Menge von mehr als 5 Litern auf den Quadratmeter in fünf
Minuten, mehr als 10 Liter auf den Quadratmeter in zehn Minuten oder
mehr als 17 Liter pro Quadratmeter und Stunde gesprochen. Wie sich
später herausstellte, fiel der Regen in stark unterschiedlichen Mengen
im Raum Ostangeln. Neben Gelting hatte auch Pommerby mit 120 Liter
Wasser auf dem Quadratmeter zu kämpfen, das sind unglaubliche 120mm.
Dagegen waren es in Börsby 105 mm, in Kronsgaard 55 mm und in Maasholm
nur 15 mm. Steinbergkirche und Kappeln hatten zwar auch viel Regen
abbekommen aber noch lange nicht die in Gelting gemessenen Mengen. In
den weitereren Teilen Angelns und Schwansens gab es keinerlei Probleme
mit dem Wasser. Warum wurden einige Landesteile geflutet und andere
verschont? Die Gewitterfront war von Dithmarschen nach Flensburg
gezogen, erklärt Diplom-Meteorologe Rüdiger Brandt von"Wetterwelt.de" in
Kiel. "Es gab einen relativ schmalen Streifen, in dem sich das Unwetter
von Südwesten nach Nordosten bewegte." Und selbst innerhalb dieser
Extremwetterzone habe es unterschiedliche Niederschlagsmengen gegeben.
Es handelte sich um eine Front mit verschiedenen Gewitterzellen. Und in
denen regnete es mit unterschiedlicher Intensität." Ausgerechnet
Gelting, das in einer Senke knapp oberhalb des Meeresspiegels liegt, war
von allen Orten in Schleswig-Holstein am stärksten betroffen. Diesmal
kam das Wasser aber nicht, wie in der Vergangenheit von der Ostsee,
sondern von oben. Der gut ausgebaute Hochwasserschutz, der diesen
Landstrich vor Überflutungen aus der Ostsee bewahren soll, nützte hier
nichts. Die Wassermassen rauschten von der höher liegenden Umgebung
Geltings durch die Kanalisation des Ortes und zwar so stark, dass fast
alle Keller und Untergeschosse innerhalb kürzester Zeit unter Wasser
standen. Innerhalb weniger Stunden waren die Böden in und um Gelting
derart mit Wasser gesättigt, dass an ein Absinken des
Grundwasserspiegels nicht zu denken war. Selbst die höher liegenden
Grundstücke der Klaus-Groth-Straße, Toften und Suterballig waren
betroffen. Auch die deutlich höher liegenden Ortschaften wie Rabenholz
und Pommerby kamen nicht ungeschoren davon. Bereits am Sonntagabend ab
etwa 18 Uhr mussten die Freiwilligen Feuerwehren etwa 80 Mal ausrücken
um vollgelaufene Keller und Häuser leer zu pumpen, danach ging es Schlag
auf Schlag. Innerhalb von Minuten gingen dutzende Einsätze in der
Rettungsstelle in Harrislee ein. Die Leitstelle löste Großalarm aus und
verstärkte zugleich auch ihr eigenes Personal. In der Nacht zum Montag
waren 25 Wehren im Einsatz, dazu das Technische Hilfswerk aus Flensburg,
Sörup und Niebüll, leider mit geringem Erfolg. Die sich ansammelnden
Wassermassen waren zu gewaltig, als dass die Pumpen der Feuerwehren
erfolgreich ihre Arbeit leisten konnten. Am Montag, dem 5. September
zeigte sich das ganze Ausmaß dieser für Gelting und Umgebung einmaligen
Katastrophe. Vor allem der Süderholm stand von der Nordstraße bis zum
Textilgeschäft Lauterbach vollständig unter Wasser. Ebenso der untere
Teil der Wilhelmstraße. Hier stand das Wasser hüfthoch, in der Spitze "
am Montagabend " bis zu 1,20 m. Auch der Norderholm, durch den vor
vielen Jahren einmal die offene Geltinger Au floss und der seit jeher
immer hochwassergefährdet war, bildete vom Pastorat bis zur Kreuzung
Schmiedestraße einen riesigen See, der durch ständig nachlaufendes
Wasser aus der Raiffeisenstraße immer größer wurde. Die erwähnten
Straßen mussten für den gesamten Verkehr gesperrt werden und sie blieben
es dann auch für eine ganze Woche. Das Wirtschaftsleben des Ortes kam
fast zum Erliegen, nicht nur aufgrund der Sperrungen sondern auch
aufgrund der Tatsache, dass viele Geschäfte und Privathaushalte
teilweise mehrere Tage ohne Strom blieben, denn auch die Stromversorgung
war regelrecht abgesoffen. Das eingedrungene Wasser und der fehlende
Strom sorgten für Sachschäden von allergrößtem Ausmaß. So mussten die im
Ortszentrum liegenden Geschäfte, Arztpraxen, Gastwirtschaften und Büros
schließen und dies nicht nur für kurze Zeit. Die Anwohner der unteren
Wilhelmstraße mussten teilweise ausquartiert oder im Oberschoss ihrer
Häuser untergebracht werden. Die Feuerwehren aus Gelting und der
gesamten Umgebung sowie das Technische Hilfswerk versuchten weiterhin
fieberhaft den Wasserpegel zu senken, doch zunächst waren, obwohl noch
sieben Feuerwehren und das THW im Einsatz waren, kaum Fortschritte zu
erkennen. Geschätzte eine Million Liter standen in den Straßen und
Gärten des Ortes. Die Felder und Wiesen rundherum bildeten eine
kilometerlange Seenplatte. Die Böden waren derart mit Wasser
durchsättigt, dass die großen Pumpen nur versuchen konnten einen
weiteren Anstieg des Pegels zu verhindern. Bis zum Abend des 5.
Septembers aber konnte man trotz aller Bemühungen keine Erfolge
erzielen, im Gegenteil: jetzt erreichte das Hochwasser seinen höchsten
Stand. Die meisten Hausbesitzer, die einen Keller voller Wasser hatten,
waren größtenteils auf sich alleine gestellt, denn die großen Pumpen der
Feuerwehren wurden nun ganz woanders gebraucht, nämlich im Ortszentrum.
Um fest zu stellen, ob die Bewohner Hilfe benötigten und um gravierende
Schäden zu erkennen, mussten einige Häuser mit Booten angefahren werden.
Mehr als 4.000 Sandsäcke wurden von den Freiwilligen Feuerwehren und
vielen weiteren freiwilligen Helfern im Ort verteilt. Mit sechs
Hochleistungspumpen des THW sollte das Wasser bis in die Nacht über
einen leichten Hügel in die mehr als 600 Meter entfernte Lehbek gepumpt
werden. Deren Pegel hatte sich bereits gesenkt. Anwohner kritisierten,
dass diese Pumpen zu spät geordert worden waren. Kreiswehrführer Rainer
Erichsen räumte ein, dass das Ausmaß der Überschwemmungen die
Einsatzkräfte überrascht habe. Am Dienstag, 6. September schien das
Schlimmste überstanden zu sein. Das Wasser ging nach den heftigen
Regengüssen der vergangenen Tage langsam aber stetig zurück. Dafür
hatten seit Montagabend die leistungsstarken Pumpen des Technischen
Hilfswerks (THW) gesorgt. Trotzdem stand das Wasser im Schnitt immer
noch einen Meter hoch. Das Problem war, dass Gelting in einer Senke
liegt und die Fluten nicht von alleine abfließen können. In der Nacht
zum Mittwoch, dem 8. September ging der Wasser-Pegel leicht zurück aber
immer noch stand das Wasser im Süderholm bis zu 70 Zentimeter hoch. Die
Geltinger Wehr erhielt weiterhin Unterstützung von Kollegen aus Lehbek,
Steinbergkirche und Stenderup und immer noch waren mindestens zehn
Häuser von der Stromversorgung abgeschnitten. Die Besitzer der Wohn- und
Geschäftshäuser im Süder- und im Norderholm waren frustriert, etliche
verzweifelt. Vor Haustüren und entlang der Grundstücksgrenzen lagen
hunderte von Sandsäcken, in vielen Häusern stand das Wasser nicht nur im
Keller, sondern auch im Erdgeschoss. "Heute hat jemand mit einem nassen
Geldschein in der Apotheke bezahlt ", erzählt eine Frau mitfühlend. Von
der großen Kreuzung der B 199 wanden sich mehrere dicke Schläuche bis
hin zum Parkplatz des Nahversorgungszentrums, dort hatte das THW seine
Einsatzzentrale errichtet. In der Nacht von Montag auf Dienstag waren
die Ehrenamtlichen aus sieben Ortsverbänden noch mit 100 Mann im
Einsatz. Inzwischen liefen die Pumpen, die in der Minute bis zu 20.000
Liter Wasser aus der Dorfmitte über knapp eineinhalb Kilometer in
Richtung Ostsee leiteten, seit einer gefühlten Ewigkeit. Am Nachmittag
besuchte der Landrat Bogislav-Tessen von Gerlach Gelting und sprach von
einem massiven und herben Einbruch in die Lebensverhältnisse der
Menschen. Er trat dem Vorwurf von Umweltschützern entgegen, die
Verrohrung der Geltinger Au sei für die Probleme der Gemeinde
ursächlich. Der Naturschutzbund Schleswig-Holstein hatte darauf
hingewiesen, dass nicht nur die verheerenden Niederschläge sondern auch
hausgemachte Probleme zu solchem extremen Hochwasser führen. "Flächen
werden versiegelt, Bäche begradigt, schlimmstenfalls kanalisiert, dies
ist eine Entwicklung die seit den siebziger Jahren auch in
Schleswig-Holstein unaufhaltsam fortgeschritten ist. Um Ackerland oder
Siedlungsgebiete zu erhalten, wurden auch hierzulande natürliche
Überflutungsgebiete zurückgedrängt " mit schlimmen Folgen. Wenn man
Bäche zum Beispiel in enge Rohre zwängt oder ihnen auch nur den Auslauf
nicht mehr zur Verfügung stellt, dann kann es zu großflächigen
Überflutungen kommen. Seit einigen Jahren nimmt der Starkregen zu.
Können die Wassermassen vor allem in niedrigen Gebieten nicht
versickern, werden Bachläufe beschleunigt. Wird das Wasser dann noch
durch ein Rohr gezwängt, verschärft sich die Lage. Man muss den
Gewässern den nötigen Raum geben, dann ist man vor solchen Ereignissen
eher gesichert. Denn diese Bereiche gehörten früher zum Gewässer dazu,
heute werden sie landwirtschaftlich genutzt oder sogar besiedelt.
Landrat Bogislav-Tessen von Gerlach hingegen sagte zur Ursache der
Überschwemmungen: " Der Boden ist zu 100 Prozent gesättigt, deshalb
kommt das Wasser auf breiter Front. Die Verrohrung der Au hat damit
nichts zu tun ". Die Versäumnisse seien bereits nach dem
Katastrophenwinter 1978/1979 begangen worden, damals habe das
Schmelzwasser der Geltinger Au zu erheblichen Überschwemmungen in
Gelting geführt. Pläne für eine südliche Entlastungsleitung verschwanden
aber aus Kostengründen (geschätzt werden 1,2 Millionen DM) wieder in der
Schublade. Diese Pläne müssen wohl jetzt in Teilen wieder hervorgeholt
werden. Das Abpumpen der Wassermassen zeigte jetzt langsam Wirkung. In
der Nacht zum Mittwoch ging der Hochwasser-Pegel leicht zurÜck. Auch in
dieser Nacht waren wieder etwa 50 THW-Helfer an dem Dauereinsatz
beteiligt. Aber die Erleichterung Über den Rückgang der Pegelstände war
schnell verflogen, denn in der Nacht zum 8. September machte lang
anhaltender Regen die Situation wieder bedrohlich. Obwohl die Pumpen von
Feuerwehren und Technischem Hilfswerk rund um die Uhr liefen, stieg der
Wasserpegel in Gelting und Umgebung wieder an. Die Böden der Ortschaften
waren immer noch so stark vom Wasser gesättigt, dass sie die neuen
Regenfälle nicht aufnehmen konnten. So mussten weitere
Hochleistungspumpen nach Gelting und in das Umland gebracht werden damit
der Wasserstand wieder leicht reduziert werden konnte. Probleme
befürchteten die Einsatzkräfte im überschwemmten Bürgerpark in Gelting.
Weil dort Einrichtungen für den Mobilfunk stehen, drohte der Ausfall
einiger Handy-Netze. Und noch ein Unheil kündigte sich an: Der
Wasserstand der Ostsee! Der nachlassende Südwestwind, der bisher das
Ostseewasser von Gelting weggetrieben hatte wurde schwächer und drehte,
so dass das Wasser jetzt in Richtung Küste getrieben wurde. Dies
wiederum hatte zur Folge, dass die Schleusentore am Geltinger Noor, die
bisher zur Entwässerung des Ortes genutzt wurden, sich zu schließen
begannen. Solch eine Schließung erfolgt automatisch, sobald zu viel
Ostseewasser für Überschwemmungsgefahr sorgt. Nun musste versucht
werden, das Wasser aus dem Ort mit erhöhtem Druck in andere, entferntere
Gebiete zu pumpen. Leider blieb der erwünschte schnelle Erfolg aus. Den
Verantwortlichen blieb nun nichts anderes mehr übrig, als eine
leistungsstarke Spezialpumpe aus Holland anzufordern, die in der Lage
war, 1.000 Liter in der Sekunde fort zu pumpen.. Zum Wochenende hin traf
dann die angeforderte Hochleistungspumpe aus Holland ein. Rund 100
Helfer waren zu diesem Zeitpunkt noch im Einsatz, unterstützt wurden sie
von Spezialisten aus den Niederlanden, die diese gewaltige Pumpe
mitgebracht hatten. Nur diese Spezialisten waren überhaupt in der Lage,
dieses Monstrum aufzustellen, zu bedienen und zu überwachen.
Ursprünglich sollte das acht Tonnen schwere Ungetüm mit einem Autokran
an seinen Bestimmungsort, direkt an der Ostsee, gehoben werden, doch der
Platz vor Ort reichte dafür nicht aus. So ließ man die Pumpe im
Yachthafen Gelting-Mole vom holländischen Tieflader auf einen
Traktoranhänger umladen um sie von dort nach Grahlenstein zu
transportieren. Dort war sie mehrere Tage im Einsatz und pumpte 43
Kubikmeter Wasser pro Minute aus Gelting und seiner Umgebung über den
Deich bei Grahlenstein in die Ostsee hinein. Zum Glück gab es an diesem
Wochenende keine weiteren Niederschläge und der Wind beruhigte sich
allmählich. So allmählich konnte nun auch mit dem Abpumpen des Wassers
aus den einzelnen Gebäuden begonnen werden ,fast eine Woche nach dem
Beginn der Hochwasserkatastrophe. Vorsicht war hier aber immer noch
geboten, denn das Grundwasser drückte noch mit enormer Kraft gegen die
Grundmauern und hätte sie leicht beschädigen können. Die Lage entspannte
sich, aber jetzt, da das Wasser langsam zurückging, wurde das
finanzielle Ausmaß der Hochwasserkatastrophe augenscheinlich. Die
betroffenen Hausbesitzer in Gelting, Pommerby, Stenderup, Rabenholz,
Lehbek und Kronsgaard hatten jetzt nicht nur mit den Wassermassen,
sondern auch mit den finanziellen Folgen der Überschwemmungen zu
kämpfen. Nur die wenigsten betroffenen Hausbesitzer hatten eine
Zusatzversicherung gegen Elementarschäden abschließen können. Gelting
wird als hochwassergefährdetes Gebiet in die Zone 4 eingestuft. Der
Abschluss einer Versicherung war und ist daher nicht möglich. Für die
Betroffenen bedeutet diese Tatsache nichts Gutes, nicht für dieses aber
auch nicht für mögliche kommende Hochwasser. Denn wer mag schon
voraussagen, ob sich solche oder ähnliche Katastrophen nicht
wiederholen? Für die weitere Zukunft kann man nur hoffen, dass ein
deutlich besserer Hochwasserschutz für Gelting und seine Umgebung
geschaffen werden kann. Dank der sehr großen Spendenbereitschaft der
Öffentlichkeit standen über 90.000 € als Hochwasserhilfe zur Verfügung,
ein bewundernswerter, stolzer Betrag, der zumindest das Notwendigste
abdecken konnte. Bei einem Gesamtschaden von über 2 Millionen € war die
Summe letztlich doch nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Am
Montag, dem 11. September 2011, konnten alle Straßen des Ortes wieder
für den Verkehr freigegeben werden. Sie waren trocken. Das galt
allerdings nicht für die vielen vom Hochwasser geschädigten Gebäude.
Viele Keller standen immer noch voller Wasser, da ein Abpumpen in den
ersten Hochwassertagen kaum möglich gewesen war. Zu groß war bei manchen
Häusern die Gefahr, dass die Gebäude beschädigt würden. Der Druck des
Grundwassers auf die dann leeren Keller wäre wahrscheinlich zu groß
gewesen. Die Fundamente hätten beschädigt werden können. So konnte man
an manchen Stellen erst spät mit dem Abpumpen beginnen und die
Feuchtigkeit konnte die Wände empor kriechen. Teilweise liefen die
Trocknungsanlagen über viele lange Wochen hinweg um die Wände
einigermaßen trocken zu legen, an den damit verbundenen hohen
Stromverbrauch mochte keiner so recht denken, man war nur froh, die
Häuser wieder bewohnbar machen zu können. Zum Wochenende und dem Beginn
der neuen Woche begannen überall im Ortszentrum große Aufräumarbeiten.
Mannshohe Müllberge vor den Häusern im Süderholm und in der
Wilhelmstraße machten das Schadensausmaß überdeutlich, Berge von Müll
und ehemals funktionstüchtigem Mobiliar wie Tische, Stühle, Fernseher,
Waschmaschinen, Kommoden und Schränke waren in vielen Haushalten
unbrauchbar geworden. Riesige Mengen von Stroh sammelten sich direkt vor
dem Einlauf in das verrohrte Teilstück der Au unterhalb der Bundesstraße
199. Es war von den umliegenden Feldern hierher geschwemmt worden. Diese
Situation hatten die Verantwortlichen der "Abfallgesellschaft
Schleswig-Flensburg" (ASF) vorausgesehen, außerdem gingen in der
Zentrale in Schleswig zahlreiche hilfesuchende Anrufe Geltinger Bürger
ein. Deshalb wurde spontan die Idee einer Sonder-Sperrmüll-Aktion
geboren und nach Absprache mit dem Geltinger Bürgermeister Uwe Linde
wurde der Ort umgehend mit zwei Sperrmüllwagen vom Unrat befreit. Sechs
Tage lang beherrschten Menschen in Feuerwehruniform und THW-Kluft die
Szenerie im Ort, dazu die vielen weiteren freiwilligen Helfer und die
des DRK Kappeln, die die Helfer mit dem Notwendigsten versorgten. Hinzu
kamen die vielen Schläuche, die sich endlos ihre Wege von der Dorfmitte
in Richtung Ostsee bahnten. Tausende von Sandsäcken lagen verstreut vor
den vom Wasser bedrohten Anwesen der Geltinger Bürger. Jetzt war das
Schlimmste zunächst überstanden und all den großartigen Helfern, die
sich eine Woche lang unermüdlich für Gelting und die umliegenden
Ortschaften aufgeopfert hatten, wurde ein herzliches Dankeschön
ausgesprochen. Diese tolle Einsatzbereitschaft der Hilfskräfte aus ganz
Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen war beeindruckend
und wird von der einheimischen Bevölkerung sicherlich so schnell nicht
vergessen. Das Technische Hilfswerk war noch am Wochenende mit Verbänden
aus Flensburg, Niebüll, Segeberg, Mölln, Elmshorn, Bergedorf/Wentorf und
Stade vor Ort und überwachte die Lage. Sie alle hatten zusammen mit den
weiteren Verbänden des THW, die vor Ort tätig waren, den Helfern des
Deutschen Roten Kreuzes, den Helfern der knapp 29 Freiwilligen
Feuerwehren aus dem Amtsbereich und den vielen freiwilligen Helfern
etwas ganz besonderes geleistet und das hatten die Menschen Geltings und
der umliegenden Ortschaften erkannt. An einigen Stellen des Ortes
bedankte sich die Bevölkerung auf großen Leinwänden für diese Hilfe und
zollte ihnen Anerkennung. Der Ministerpräsident des
Landes-Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen, hatte sich persönlich
telefonisch vom Geltinger Bürgermeister Uwe Linde über die Lage
informiert. Der Bürgermeister zeigte sich nach diesem Anruf hoch
zufrieden und sagte: " Ich bin zuversichtlich, dass er uns unterstützen
wird ". Wie geht es in der Zukunft weiter? Alle in Gelting und Umgebung
sind sich einig: So kann und darf es nicht weitergehen! Es muss jetzt
endlich nach Lösungen gesucht werden, die eine solche Katastrophe
zukünftig verhindern können. Solche Gedanken machten sich schon bei
früheren Hochwassern bei den Verantwortlichen breit, Lösungsvorschläge
gab es bereits 1979 und auch 1988, aber alles verlief, hauptsächlich aus
Kostengründen, im Sande. Nun will sich eine am 7.11.2011 gegründete
Interessengemeinschaft, die sich überwiegend aus Betroffenen der
Hochwasserkatastrophe zusammensetzt der Sache annehmen. Mit Nachdruck
sollen die Verantwortlichen von Behörden und Wasser- und Bodenverbänden
zum Handeln veranlasst werden. Lösungsvorschläge wurden bereits
präsentiert. Man kann gespannt sein, wie sich die Angelegenheit
entwickelt, wichtig bleibt, die Sache nicht wieder im Sande verlaufen zu
lassen und dass relativ schnell gehandelt wird.
---- Quellen:
Zeitungsartikel: SHZ, Ostseezeitung, Lübecker Nachrichten, Berliner
Morgenpost, Hamburger Abendblatt; Internetberichte NDR, ARD, ZDF, RTL,
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